Professor Dr. Rudolf Wendt
Vortrag:
Aufgabengerechte
Finanzierungsstruktur im Bundesstaat
Herr Vorsitzender,
meine Damen,
meine Herren,
I. Einführung
ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn
behauptet wird, daß die Zeiten eines stetigen wirtschaftlichen Wachstums
endgültig vorbei seien. Ich bin eigentlich nicht so pessimistisch. Man muß
allerdings einräumen, daß die vom Bundeswirtschaftsministerium unverdrossen
wiederholten Ankündigungen, jetzt habe die Wirtschaft wieder Tritt gefaßt und
der Konjunkturmotor springe wieder an, sich bislang immer wieder als verfrüht
erwiesen haben. Einer Sache bin ich mir aber sicher: Auch wenn die Zeichen in der
Wirtschaft wieder auf Wachstum stehen und die Steuerquellen wieder kräftiger
sprudeln, werden sich die Bedingungen politischen und finanzpolitischen
Handelns gründlich verändert haben. Auch wenn der Bürger und die Akteure der
Politik in Bund, Ländern und Kommunen sich über Jahrzehnte an eine stetige
Steigerung staatlicher und kommunaler Leistungserbringung gewöhnt haben: Sie
werden sich auf diesen Wandel einstellen müssen. Die Finanzpolitik ist in
Deutschland längst an einem Punkt angelangt, an dem die Überforderung aller
öffentlichen Haushalte durch die traditionell erfüllten Aufgaben offenkundig
ist. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: der überhöhte Zukunftsoptimismus der
vergangenen Jahre, die Anforderungen des deutschen Einigungsprozesses, der Wegfall
des "Eisernen Vorhangs" und die globalen weltwirtschaftlichen
Entwicklungen, die auf den Standort Deutschland durchschlagen. Nicht von
ungefähr besteht daher ein weitgehender Konsens über die Notwendigkeit einer
umfassenden Konsolidierung, um Spielräume für eine zukunftsgestaltende Politik
wiederzugewinnen.
Längst wissen alle, daß die Einnahmen der
öffentlichen Hand kaum mehr zu steigern sind. Bei einer Staatsquote von mehr
als 50 % dominiert im Grunde bereits die Staatswirtschaft gegenüber der
Marktwirtschaft. In weiten Bereichen sind private und marktwirtschaftliche
Handlungsprozesse außer Kraft gesetzt. In einer Zeit, in der der Staat - wie
das Bundesverfassungsgericht bestätigt - die Besteuerungslast an die
Belastungsobergrenze herangeführt hat, ist nicht die Erhöhung der Steuern,
sondern eine kräftige Senkung der Steuersätze das Gebot der Stunde; nur so ist
es möglich, die von der hohen Abgabenlast ausgehenden falschen Anreize für
Unternehmen und private Haushalte zu verringern und im internationalen
Standortwettbewerb mitzuhalten. Der Weg in eine immer weiter gehende
Staatsverschuldung stößt auf die vom Bundes- und Landesverfassungsrecht
errichteten Verschuldungsbarrieren. Das weiß man heute nicht nur als
Neu-Saarländer. Vor noch gar nicht langer Zeit glaubte man, in der privaten
Finanzierung öffentlicher Projekte die ideale Alternative zur staatlichen
Finanzierung gefunden zu haben. Aber auch dieser Weg hat sich nicht als
"Königsweg", sonder eher als dornenreich erwiesen und einen Teil seiner
Faszination eingebüßt. Er bietet kein Allheilmittel gegen die Finanznöte der
öffentlichen Hand.
Was tut die öffentliche Hand in dieser
Situation? In einer Situation, wohlgemerkt, in der sie die für nötig gehaltenen
finanziellen Mittel nicht mehr von außen - dem steuerstaatlichen Gegenüber,
nämlich dem Bürger und der Wirtschaft - bekommen kann? In einer Situation
zudem, in der jeder der öffentlichen Aufgabenträger sich feierlich, ja
begeistert und vor allem publikumswirksam zur Notwendigkeit eines
"schlankeren" Staates bekennt, Sparmöglichkeiten aber nur bei anderen
zu sehen vermag. Die eigenen Aufgaben hält man jedenfalls für unverzichtbar -
und könnte sich oft auch gar nicht von ihnen trennen, selbst wenn man es
wollte: So vor allem, wenn die Aufgabenwahrnehmung durch den Gesetzgeber einer
anderen Ebene festgeschrieben ist. Es ist aber nicht schwer vorauszusagen, was
passieren wird. Die öffentlichen Aufgabenträger werden sich nach innen,
gegeneinander wenden und sich gegenseitig das Leben schwer machen. Und genau das
ist seit Jahren zu beobachten. Angesichts des Umstandes, daß die öffentlichen
Mittel zumindest in Relation zu den Aufgaben, zum Teil aber auch absolut
knapper werden, nehmen die Verteilungskämpfe um Finanzmittel zwischen Bund,
Ländern, Kreisen und Gemeinden zu. Es wird nicht mehr jede von dritter Seite
politisch getroffene Entscheidung hingenommen. Immer häufiger wird nach
prozessualen Mitteln und Wegen gesucht, um die eigene finanzielle Lage im
Verhältnis zu den wahrzunehmenden Aufgaben zu verbessern und damit
Gestaltungsspielräume zu gewinnen oder zu sichern. Dafür lassen sich z. B. die
beiden Verfahren zum bundesstaatlichen Finanzausgleich anführen. In der
jüngeren Zeit häuft sich die Anrufung der Gerichte, insbesondere durch Kreise
und Gemeinden, um eine finanzielle Mindestausstattung einzufordern, die
Übertragung von Aufgaben ohne Kostenausgleich abzuwehren oder
Kostenerstattungsansprüche geltend zu machen.
Ob hier nun bereits vor den Gerichten
gefochten wird oder man sich vorerst nur auf die Vergabe verfassungsrechtlicher
Gutachten beschränkt: das Bild, das sich derzeit bietet, könnte vielfältiger
und farbiger nicht sein - und bietet dem, der an der einen oder anderen Stelle
selbst involviert ist, reichhaltiges Anschauungsmaterial. Die Kommunen wehren
sich gegen die immer wieder unternommenen Versuche des Bundes, die
Arbeitslosenhilfe auf dem Weg einer Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
zeitlich zu begrenzen - mit der Folge, daß anschließend Sozialhilfe gezahlt
werden muß, die im Unterschied zur Arbeitslosenhilfe bekanntermaßen nicht aus
dem Bundesportemonnaie, sondern von den Kreisen und kreisfreien Städten zu
zahlen ist. Sie wehren sich gegen die im Rahmen der Bahnstrukturreform
gesetzlich beschlossene Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs,
soweit sie hier mit neuen finanziellen Lasten, die nicht abgegolten werden,
rechnen müssen. Sie beklagen die bundesgesetzliche Verankerung eines
Rechtsanspruchs des Bürgers auf einen Kindergartenplatz, für dessen
Realisierung sie allein Investitionsmittel in Höhe von 21 Mrd. DM aufzubringen
haben. Auch innerhalb der vielgerühmten "kommunalen" Familie herrscht
nicht eitel Sonnenschein. Die Gemeinden ziehen gegen die Erhöhung der
Kreisumlage zu Felde, weil sie ihren Gestaltungsspielraum gefährdet sehen. Auch
der Bund steht nicht abseits. Er besinnt sich auf die bisher niemals
praktizierte Regelung des Art. 104 a Abs. 5 GG, daß Bund und Länder "im
Verhältnis zueinander für eine ordnungsgemäße Verwaltung haften". Hierauf
gestützt klagt er erfolgreich Haftungsansprüche ein, gerade auch hier in
Nordrhein-Westfalen. Wie Sie der Presse entnehmen konnten, haben schließlich
erst vor einer Woche die Landesregierungen von Bayern und Baden-Württemberg
erneut eine Änderung des Länderfinanzausgleichs gefordert.
II. Fragestellung
Meine Damen und Herren - keine Angst!- ich
habe nicht vor, das Gesamtspektrum der damit angesprochenen Probleme zu
behandeln. Ich möchte nur eine zentrale Frage herausgreifen, die einen
Schwerpunkt der heute geführten Diskussion markiert. Die Frage danach, wer
eigentlich die Kosten der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben auf den
verschiedenen Ebenen unseres Gemeinwesens zu tragen hat - oder: richtigerweise
tragen sollte. Denn wenn auf der einen Seite die Einnahmen einer Körperschaft
nicht mehr gesteigert werden können und auf der anderen Seite die Rückführung
der eigenen Aufgaben und Ausgaben schwer fällt oder - weil die Aufgaben von
dritter Seite normativ festgelegt sind - sogar unmöglich ist, drängt sich
natürlich die Frage auf, ob man eigentlich selbst der letztlich zur
Finanzierung Verpflichtete ist. Erfreulicher wäre es ja, wenn die
Finanzierungslast bei einer anderen Körperschaft läge. Gelänge die Zuordnung
der Finanzierungslast zu einer anderen Körperschaft, gewänne man Handlungsspielraum
zurück. Selbst wenn man zunächst die Kosten einer Aufgabe aus dem eigenen
Haushalt trüge, hättge man einen Kostenerstattungsanspruch.
Damit steht das Problem der angemessenen
Verteilung der Finanzierungslasten in unserem föderativen Gemeinwesen auf der
Tagesordnung. Das Problem der aufgabengerechten Finanzierungsstruktur stellt
sich in besonderem Maße, wenn der Bundesgesetzgeber den Ländern oder wenn
Bundes- oder Landesgesetzgeber den Kommunen kostenträchtige Aufgaben zuweisen
und die Haushalte der in die Pflicht genommenen Aufgabenträger in Bedrängnis
bringen. Dabei macht es aus der Sicht der Betroffenen keinen Unterschied, ob
die Aufgabenzuweisungen primär der Entlastung der öffentlichen Haushalte
anderer Ebenen dienen oder ob es sich um echte Ausweitungen des
Leistungsangebots der öffentlichen Hand gegenüber dem Bürger handelt.
Unwiderruflich auf die Tagesordnung gebracht haben das Thema die Kommunen und
ihre Spitzenverbände. Aufgaben- und Kostenerweiterungen im Bereich der
Sozialhilfe, die Verankerung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz
und die Regionalisierung des öffentlichen Nahverkehrs haben für sie das Faß zum
Überlaufen gebracht. Die Frage, ob der zuständige Gesetzgeber Aufgaben
festlegen und einem anderen Hoheitsträger zuweisen darf, ohne zugleich eine
Regelung des Ausgabenmehrbedarfs vorzusehen, ist für sie im Grundsatz geklärt:
Im Sinne eines Nein! Er darf es nicht! Kreise, Städte und Gemeinden sind sich
einig: Insbesondere derjenige, der ihnen Aufgaben ohne eigenen Entscheidungsspielraum
überträgt, muß voll und ganz für diese Aufgaben bezahlen. Ihr Schlachtruf ist:
"Wer bestellt, bezahlt" - wobei also der Gesetzgeber der Besteller
ist. Auf diesen Schlachtruf haben die Gemeinden und Kreise sogar den
Bundespräsidenten einschwören können. Damit waren sie von denkbar höchster
Stelle bestätigt - stellt man die doppelte Autorität des Bundespräsidenten in
Rechnung, seine Amtsautorität und seine Autorität als angesehener
Staatsrechtslehrer - ; von da an gab es für die Kommunen kein Halten mehr. Es
gelang ihnen, offenbar im Verein mit den Ländern, die ehrwürdige Institution
des Deutschen Juristentages zu bewegen, sich des Themas anzunehmen. Er tat dies
vor wenigen Wochen unter der Fragestellung: "Empfehlen sich Maßnahmen, um
in der Finanzverfassung Aufgaben- und Ausgabenverantwortung von Bund, Ländern
und Gemeinden stärker zusammenzuführen?" Es kam dann, wie es kommen
mußte:
Der Gutachter bestätigte auf das Erfreulichste die Vorstellungen der Kommunen
und ihrer Verbände. Er legte dar, daß de constitutione ferenda grundsätzlich
die gesetzgebende Körperschaft die Kosten der durch ihr Gesetz verursachten
Zweckausgaben tragen solle. Die Folge wäre insbesondere, daß der Bund bei der
Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder oder Kommunen diesen die
notwendigen Kosten zu erstatten hätte. Nur wo den Ländern bei der
Gesetzesausführung noch ein Spielraum zu eigener Entscheidung zustehe, will der
Gutachter die Kosten künftig den Ländern angelastet sehen.
Ich persönlich bin da skeptischer. Ich sehe
die Gefahr, daß auf Grund der jüngsten Reformdiskussion Fehlinterpretationen
Schule machen und Fehlentwicklungen von erheblicher Tragweite einsetzen. Dem
möchte ich entgegentreten.
III. Finanzierungsverantwortung
im Verhältnis von Bund und Ländern
1. Geltende
Verfassungsrechtslage
Zunächst: Blickt man auf die
Lastenverteilung, so wie das Grundgesetz sie positiv-rechtlich geregelt hat,
wird die Forderung nach einer stärkeren Zusammenführung von Aufgaben und
Ausgaben erst einmal überraschen. Denn die Grundregel des Art. 104 a Abs. 1 GG
scheint doch eine solche Übereinstimmung von Aufgaben und Ausgaben gerade exakt
festzulegen. Es heißt dort, daß der Bund und die Länder "gesondert die
Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben", tragen.
Diese allgemeine Lastenverteilungsregel, nach der die Ausgabenverantwortung der
Wahrnehmung der zugewiesenen Aufgaben folgt, unterstellt im Grunde, daß
Aufgaben und Ausgaben bereits zusammengeführt sind. Allerdings ist einzuräumen,
daß der Begriff der Aufgabe nicht sonderlich bestimmt ist. Er muß konkretisiert
werden. Im Ergebnis besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß Art. 104 a
Abs. 1 GG mit der Bezugnahme auf die "Wahrnehmung ihrer Aufgaben" an
die Verwaltungsverantwortung anknüpft. Die Vorschrift knüpft die
Finanzierungslast also an die Verwaltungszuständigkeit nach Art. 83 ff.
GG, nicht an die Gesetzgebungszuständigkeit. Für diese
Lastenzuordnung spricht eindeutig die Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
Die Anbindung der Finanzierungszuständigkeit
an die Verwaltungskompetenz gründet auf der Erwägung, daß der Partner
des förderativen Gefüges, der für den Vollzug einer Aufgabe
verantwortlich ist die Funktion wahrnimmt, die unmittelbar die Kosten
verursacht. Dann soll er auch für die Finanzierung dieser Aufgabe
verantwortlich sein. Er soll über Art und Weise (Zweckmäßigkeit) des
Gesetzesvollzugs und die sich daraus ergebenden Ausgabelasten
selbstverantwortlich entscheiden können. Er soll in ungeteilter Verantwortung
den rechtmäßigen und zweckmäßigen Gesetzesvollzug administrativ und finanziell
sicherstellen; der Entscheidungsspielraum bei der Ausfüllung der Aufgabe soll
durch die Gewährung eines Finanzierungsspielraumes abgesichert werden, der von
Einflußnahmen Dritter frei ist. Das so verstandene Konnexitätsprinzip basiert
mithin wesentlich auf zwei Pfeilern: der Einsicht, daß Recht und Pflicht zur
Finanzierung eine staatliche Kompetenz bedeuten, und der Annahme, daß der
Verwaltungsträger im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung über hinreichend große Spielräume
verfügt, die ihm eine mehr oder weniger sparsame Tätigkeit ermöglichen. Er soll
ebenso die Früchte sparsamen Verwaltungshandelns ernten wie die Lasten
großzügigen Wirtschaftens tragen. Die für die Verwaltung zuständigen Länder
tragen nach dieser Regel die Finanzverantwortung auch für bundesgesetzlich
zwingend veranlaßte Kosten. Der Bund ist auch nicht berechtigt, geschweige denn
verpflichtet, die von ihm bei den Kommunen veranlaßten Kosten zu übernehmen
oder auszugleichen; auch finanzverfassungsrechtlich sind die Kommunen den
Ländern zuzurechnen. Daß die Länder einschließlich der Kommunen durch den Erlaß
von Bundesgesetzen, die sie zu vollziehen haben, finanziell belastet werden,
ist kein unzulässiger Eingriff des Bundes in die haushaltswirtschaftliche
Eigenständigkeit der Länder (Art. 109 Abs. 1 GG); die Belastung ist Konsequenz
des Dezentralisationsprinzips unserer föderativen Verfassung. Das Grundgesetz
verteilt die Kompetenzen eben anders als die Verfassung der Vereinigten
Staaten, die die Kompetenzen zwischen Bund und Einzelstaaten nach den
verschiedenen Sachgebieten auftteilt. Das Grundgesetz behält die Rechtsetzung
typischerweise dem Bund, den Ländern dagegen grundsätzlich die
Vollzugskompetenz vor, weist ihnen aber auch die damit verbundenen Pflichten
zu. Klar muß dann allerdings sein: Angesichts der dezidierten Trennung von
Normsetzung einerseits und Vollzugs- und Kostenlast andererseits erwächst dem
Bund aus seiner umfassenden Gesetzgebungskompetenz und seiner finanzpolitischen
Gesamtverantwortung die Pflicht, die Länder im Wege der Steuer- und
Finanzausgleichsgesetzgebung finanziell so auszustatten, daß sie die ihnen
aufgebürdeten Ausgabelasten auch tragen können. Erkennt man dies an, sind der
Schaffung von Aufgaben zu Lassten fremder Haushalte von vornherein Grenzen
gesetzt.
Angesichts der wachsenden Finanznot der
Länder und Kommunen will man sich hiermit neuerdings bereits de constitutione
lata nicht mehr zufrieden geben. Es wird vielmehr versucht, Art. 104 a Abs. 1
GG "umzudeuten", indem die Verklammerung der Art. 83 ff. mit Art. 104
aAbs. 1 GG gelöst wird. Art. 104 a Abs. 1 GG wird so gedeutet, daß doch die
bundesgesetzliche Kostenveranlassung zur Kostenübernahme durch den Bund führen
soll. Damit sind allerdings die Grenzen der Verfassungsinterpretation
überschritten. Diese ist immer auch historisch bestimmt, und immerhin stammt
die gegenwärtige Finanzverfassung erst aus dem Jahre 1969. Eine Ausnahme von
der Grundregel des Art. 104 a Abs. 1 GG gilt immerhin für
Bundesauftragsangelegenheiten, für die der Bund nach Art. 104 a Abs. 2 GG die
Zweckkosten (aber nicht die Verwaltungsausgaben) trägt. Das gilt aber nur für
die Bundesauftragsverwaltung im Sinne von Art. 85 Abs. 1 GG. Dennoch wird
vermehrt versucht, in Anlehnung an diese Ausnahmeregelung Zweckkosten, die den
Ländern oder Kommunen entstehen, dem Bund für den Fall zuzuweisen, daß der
Aufgabenvollzug pflichtig und weitgehend gesetzlich determiniert ist. Das soll
etwa beim Vollzug des Bundessozialhilfegesetzes der Fall sein. Derartige Interpretationsversuche
sind nach der gegebenen Verfassungsrechtslage zurückzuweisen. Sie sind mit dem
Wortlaut, der Systematik (siehe auch Art. 104 a Abs. 3 GG) und dem Sinn und
Zweck des Art. 104 a GG nicht vereinbar. In Fällen wie dem des Bundessozialhilfegesetzes
fehlt es an dem Aufischtsinstrumentarium des Bundes und der damit verbundenen
weitgehenden exekutiven Steuerungsbefugnis der Bundesbehörden, die es im Fall
des Art. 104 a Abs. 2 GG rechtfertigen, das Konnexitätsprinzip zu durchbrechen.
2. Änderung
des Art. 104 a GG?
Es bleibt daher dabei: Ein
Aufwandsausgleichsanspruch der Länder und Kommunen gegenüber dem Bund kann aus
dem heutigen Art. 104 a GG nicht abgeleitet werden. An dieses
Auslegungsergebnis knüpft sich, wie gezeigt, die Forderung nach einer Änderung
der Vorschrift. Art. 104 a GG wird für überholungsbedürftig erklärt. Es wird
geltend gemacht, daß die entscheidende Prämisse der Vorschrift heute im
Grundsatz nicht ehr zutreffe: nämlich die Existenz einer materiellen
Verwaltungsverantwortung, auf deren Grundlage die im Ermessenswege ergehende
Verwaltungsentscheidung wesentlichen Einfluß auf die Höhe der entstehenden
Ausgaben habe. Angesichts der erreichten Normierungsdichte von Gesetzen sei der
Normvollzug durch die verwaltung heute häufig weitestgehend determiniert - so
weitgehend, daß im wesentlichen bereits der Gesetzgeber über die Höhe der
Ausgaben entscheide, die mit der Erfüllung einer Staatsaufgabe verbunden seien.
Dem Gesetzgeber als dem eigentlichen Verursacher seien daher die Kostsen staatlicher
Aufgaben anzulasten, nicht der vollziehenden Verwaltung; denn deren
Gestaltungsspielraum tendiere gegen Null. So erklärt sich der bereits eben
genannte Novellierungsvorschlag zu Art. 104 a Abs. 1 GG, der die bisherige Vollzugskausalität
durch eine Gesetzeskausalität ersetzen soll: Die Finanzierungslast soll
grundsätzlich dem Bund als demjenigen Rechtsträger zufallen, der die
Zweckausgaben durch sein Gesetz verursacht habe. Die Novellierung soll die
Kostenlast für die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder und Kommunen
also regelmäßig dem Bund zuordnen. Nur soweit den Ländern oder Kommunen bei der
Gesetzesausführung - ausnahmsweise - ein Spielraum zu eigener Entscheidung
bleibe, seien sie mit den Kosten zu belasten.
a) Grundsätzliche
Finanzierungsverantwortung des Bundes?
Ich will meine Bedenken gegenüber diesen
Vorschlägen nicht verhehlen. Fragwürdig ist schon, daß hier ein einzelner
Teilkomplex der Finanzverfassung herausgegriffen und gesondert novelliert
werden soll. Alle Regelungen der bundesstaatlichen Finanzverfassung - von den
Finanzierungszuständigkeiten über die Steuergesetzgebungskompetenzen bis hin
zum Finanzausgleich und der Aufteilung der Steuerverwaltung - alle diese
Regelungen sind Bestandteile eines sorgfältig austarierten Systems. Aus ihm
können nicht beliebig einzelne fundamentale Bausteine herausgebrochen und
ausgewechselt werden, ohne daß zugleich das System insgesamt auf seine
Fortschreibungsbedürftigkeit überprüft würde.
Zur Sache selbst: Der Vorschlag einer
prinzipiellen Verlagerung der Finanzierungsverantwortung basiert meines
Erachtens auf fragwürdigen Annahmen. Es ist zu bedenken, daß es sehr wohl auch
heute noch die für den Vollzug verantwortliche Körperschaft ist, die
unmittelbar die Kosten der Aufgabenerfüllung verursacht. Ist der Spielraum der
Verwaltung wirklich durchweg so gering, daß es regelmäßig an einer materiellen
Verwaltungsverantwortung fehlt un von einem nennenswerten Einfluß der
Verwaltung auf die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Aufgabenerfüllung
keine Rede mehr sein kann? Richtig ist, daß die Regelungsdichte der
Gesetzgebung im modernen Industrie- und Sozialstaat gestiegen ist. Richtig ist
aber auch, daß der Exekutive kraft der Vollzugskompetenz grundsätzlich nach wie
vor erhebliche Auslegungs-, Ermessens- und Gestaltungsspielräume offenstehen.
Auch dort, wo der Gesetzgeber auf die Zubilligung von Rechtsfolgeermessen
zugunsten gebundener Entscheidungen verzichtet, bleiben der Verwaltung
durchgehend behördliche Beurteilungsfreiräume bei der Auslegung und Anwendung
unbestimmter Gesetzesbegriffe. Damit bleiben ihr weite Bereiche eigener - auch
ausgabewirksamer! - Verantwortung und Entscheidung. Zwar nimmt die
gesetzgeberische Steuerung z. B. der kommunalen Selbstverwaltung in der Tat zu.
Hierauf ist die richtige Antwort aber nicht Resignation, sondern die ständige
Erneuerung der Forderung an den Gesetzgeber, die Gesetze auf die
unverzichtbaren Regelungen zu beschränken, um den kommunalen Handlungs- und
Entfaltungsspielraum zu bewahren und echte Verwaltungsverantwortung zu
ermöglichen. So war die bundesrechtliche Einführung des Rechtsanspruchs auf
einen Kindergartenplatz zu Lasten der Kommunen - ein auslösendes Moment für die
heutige Diskussion - vielleicht ohnenhin gesetzgebungspolitisch verfehlt, wenn
sie nicht darüber hinaus aus kompetenzrechtlichen Gründen sogar
verfassungswidrig war! Die Kommunen hätten das auch alleine regeln können.
Skeptisch gegenüber den Prämissen des
geschilderten Vorschlags stimmt ein weiteres: das Phänomen einer verbreiteten
Verantwortungsscheu des Gesetzgebers, das wir ungeachtet aller
Verrechtlichungstendenzen beobachten können. Auch Entscheidungen von
weittragender Bedeutung bürdet der Gesetzgeber liebend gern der Verwaltung auf.
Zur richtigen Einschätzung des Spielraumes auch der gesetzesausführenden
Verwaltung kann auch der Blick auf das Steuerrecht beitragen. Diskutieren wir
nicht selbst auf diesem Gebiet, einem der durchnormiertesten und
ermessensfeindlichsten Rechtsgebiete überhaupt, über eklatante Unterschiedlichkeiten
des Verwaltungsvollzuges? Um wieviel mehr muß es diese Unterschiedlichkeiten in
der Leistungsverwaltung, die hier in Rede steht, geben! Bemerkenswert ist, daß
die Befürworter einer prinzipiellen Verlagerung der Finanzierungsverantwortung
einräumen müssen, daß ihr Ansatz selbst für die Zuordnung der Sozialhilfekosten
nach dem Bundessozialhilfegesetz keine eindeutige Lösung erlaubt. Dabei handelt
es sich hier um den anderen zentralen Ausgangspunkt der Diskussion, die heute
über die "richtige" Zuordnung der Finanzierungsverantwortung geführt
wird. Bezüglich der Kosten der Sozialhilfe wird "im Hinblick auf das in
Teilbereichen noch vorhandene Ermessen der Aufgabenträger" der Vorschlag
für "sinnvoll wie praktikabel" gehalten, daß der Bund als
"Grundkosten" die Aufwendungen tragen solle, "die beim Vollzug
des Gesetzes auf jeden Fall entstünden"; dagegen seien die Länder und die
Kommunen mit den durch ihre Ermessensentscheidungen verursachten
"Zusatzkosten" zu belasten.
Insgesamt ist hervorzuheben, daß es dem
System des Wettbewerbsföderalismus entspricht, auf die Unterschiedlichkeit des
Vollzugs der öffentlichen Aufgaben zu setzen und sie als Ausdruck des
Wettbewerbs um den ökonomischeren Einsatz der Ressourcen zu werten. Kann es im
übrigen Sache der Verwaltung und der Verwaltungsrechtswissenschaft sein, die
Verwaltungsaufgabe als regelmäßig "en quelque facon nulle" zu
bezeichnen? Wohl kaum! Gerade hier in Köln sollte die Idee der "Verwaltung
als eigenständiger Staatsgewalt" nach wie vor auf fruchtbaren Boden
fallen. Der Durchsetzung der Idee, daß die Verwaltung die Staatszwecke im
Einzelfall schöpferisch zu verwirklichen habe, war nicht nur die
Rektoratsrede des Kölner Staats- und Verwaltungsrechtlers Hans Peters an
dieser Universität gewidmet, sondern ein Gutteil seines Lebenswerkes.
Beweiskraft sollte im übrigen der Umstand
haben, daß der Grundgesetzgeber jedenfalls die Aufgabe der Exekutive hoch
veranschlagt. Gegen die ausgedehnten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes setzt
er die grundsätzliche Verwaltungskompetenz der Länder, gerade auch für die
Ausführung der Bundesgesetze. Seit jeher wird diese Zuordnung der
Verwaltungshoheit an die Länder für so bedeutsam erachtet, daß man sie als
geeignet ansieht, das Übergewicht des Bundes auf dem Feld der Gesetzgebung
auszutarieren und die bundesstaatliche Balance herzustellen. Zu bedenken ist
weiterhin, daß mit der grundsätzlichen Koppelung von bundesgesetzlicher
Veranlassung von Aufgaben und Ausgaben einerseits und Kostentragung
andererseits dem Bund ein derartiges Mehr an Finanzmacht zuwüchse, daß es den
Ländern künftig schwerfiele, die volle Sachverantwortung für die ihnen
obliegenden Aufgaben zu bewahren: Finanzierung begründet Sacheinfluß. Es würde
eine gegenständlich kaum begrenzte Finanzierungskompetenz des Bundes
geschaffen, die nur an die Bedingungen eigenen gesetzgeberischen Tätigwerdens
sowie der Zulässigkeit der jeweiligen Aufgabenübertragung geknüpft wäre.
Demgegenüber hat der Grundgesetzgeber bewußt versucht, die
Finanzierungsbefugnis aus dem heutigen Art. 104 a Abs. 4 GG an enge
Voraussetzungen zu binden; die nach dieser Vorschrift möglichen Finanzhilfen
dürfen nicht zur Durchsetzung allgemeiner wirtschafts-, währungs-,
raumordnungs- oder strukturpolitischer Ziele des Bundes in den Ländern
eingesetzt werden. Sie lassen also außerhalb der Förderungsziele des Art. 104 a
Abs. 4 GG eine Einflußnahme von bundespolitischer Seite auf die
Aufgabenerfüllung durch die Länder nicht zu. Zu berücksichtigen ist ferner: Je
mehr man den Bund als den eigentlichen Garanten für die wirtschaftliche und
sparsame Wahrnehmung einer von den Ländern oder Kommunen durchgeführten Aufgabe
ansieht, um so mehr wird man ihn für berechtigt halten müssen, diese
Wirtschaftlichkeit durch Detailregelungen und die Festlegung von Standards zu
sichern. Das wollen wir gerade nicht. Für die Beibehaltung der Verknüpfung von
Finanzierungslast und Aufgabenzuständigkeit spricht schließlich, daß die mit
der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben für die Länder und Kommunen tatsächlich
verbundenen finanziellen Lasten vielfach durch den Gesamtzuschnitt der Landes-
und Kommunalpolitik mitbestimmt werden. So können die Länder durch ihre Politik
auch die Höhe der anfallenden Sozialhilfekosten beeinflussen. Zwar gibt es
regionale Gegebenheiten, die sie nicht ändern können, doch wird die Entwicklung
eines Wirtschaftsraumes auch von den Erfolgen oder Mißerfolgen der
Landespolitik geprägt. Auch dürfen wir die Gemeinden nicht aus der Pflicht
entlassen, sich um die Eingliederung der Sozialhilfebedürftigen zu kümmern - soweit
diese arbeitsfähig sind -, also Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen und für ein
wirtschaftsfreundliches Klima zu sorgen.
b)
Finanzierungsverantwortung des Bundes beim Fehlen eines Ausführungsspielraumes?
Zum Teil beschränkt man sich nun auf den Grundgedanken
des skizzierten Reformanliegens und schlägt vor, allein beim erwiesenen Fehlen
eines Ausführungsspielraumes von Ländern oder Kommunen den Bund zur Tragung der
Zweckausgaben zu verpflichten. Das geht weniger weit. Der Bund soll nur im
Ausnahmefall zum Finanzier gemacht werden.
Dieser Vorschlag begegnet schon deshalb
Bedenken, weil er die grundlegende verfassungspolitische Forderung nach
einfacher und klarer Grenzziehung bei der Lastenverteilung zwischen Bund und
Ländern vernachlässigt. Er ist kaum praktikabel. Bei einem gesetzlichen
Nebeneinander von Ermessensleistungen und gebundenen Leistungen ist die
Abgrenzung der letzteren nicht einfach. Und natürlich eröffnen auch, wie
gesagt, die in Bundesgesetzen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe vielfältige
Entscheidungsfreiräume der Verwaltung. Diese Freiräume ohne fortwährenden
Streit so zu erfassen und zu quantifizieren, daß sie Kriterium einer konkreten
Kostenaufteilung zwischen Bund und Ländern sein könnten, wird nicht gelingen.
Im übrigen ist zu fragen, ob die bei diesem
Vorschlag jedenfalls für bestimmte Bereiche unterstellte
"Minimalisierung" der Verwaltungsverantwortung nicht im wesentlichen
ein auf bestimmte Geldleistungsgesetze beschränktes Phänomen ist. Dann würde
eine spezifisch hierauf abgestellte Problemlösung ausreichen. Bekanntermaßen
versucht bereits der heutige Art. 104 a Abs. 3 GG den Besonderheiten von
Geldleistungsgesetzen, die von den Ländern ausgeführt werden, Rechnung zu
tragen. Zu diesem Zweck sieht er eine fakultative Kostentragungspflicht des
Bundes vor. Die Auffassung, daß jedenfalls diese Regelung revisionsbedürftig
ist, scheint sich immer mehr durchzusetzen. Verfassungspolitisch angreifbar ist
die Vorschrift in der Tat zumindest deshalb, weil sie heute schon die Lastenverteilung
zur Disposition des Bundesgesetzgebers stellt; damit wird dem Bedürfnis nach
einer klaren Abgrenzung der Finanzierungslasten nicht genügt.
Bei allen Reformüberlegungen ist zu
berücksichtigen, daß es verfassungspolitisch kaum erwünscht sein kann, selbst
eine grundgesetzlich abgesegnete und gesetzlich gesteuerte Dotationswirtschaft
des Bundes und finanzielle Alimentierung der Länder durch Finanzbeiträge des
Bundes auf breiter Front zu etablieren. Es fragt sich, ob die Länder die Kraft
hätten, sich gegenüber bundesrechtlichen Regelungen, die ihre
Verwaltungsverantwortung ohne zwingende Gründe beschnitten, ja selbst gegenüber
Kompetenzübergriffen des Bundes zu wehren, die - wenn sie nur weit genug gingen
- zur Folge hätten, daß die Finanzierungsverantwortung auf den Bund überginge.
Die Erfahrungen, die zur Finanzreform 1969 geführt haben, lehren das Gegenteil.
Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft der Länder sind
ein hohes Gut, das sich zu verteidigen lohnt; sie machen allerdings eine
aufgabengerechte Finanzausstattung der Länder unverzichtbar. Nach wie vor gilt,
daß die Staatlichkeit des Bundes und der Länder sich nur dann wirksam entfalten
kann, wenn sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten über hinreichende
Anteile am Steueraufkommen verfügen. Finanzleistungen aus dem Bundeshaushalt an
die Länder für Landesaufgaben gefährden die verfassungsrechtlich garantierte
Eigenständigkeit der Länder, denen das Grundgesetz die volle Sach- und
Finanzverantwortung für die ihnen obliegenden Aufgaben eingeräumt hat. In einem
System, das darauf angelegt ist, eine der Aufgabenverteilung gerecht werdende
Finanzausstattung der Länder zu erreichen, sind Finanzleistungen des Bundes an
die Länder für Landesaufgaben allenfalls als Ausnahme denkbar. Bei jeglicher
Veränderung des Systems der Zuordnung der Finanzierungsverantwortung ist nicht
zuletzt zu berücksichtigen, daß bei der Erfüllung eigener Aufgaben durch Land
und Kommunen mit Bundesmitteln die Neigung zu einer großzügigen Bewirtschaftung
dieser Mittel - zu Lasten des fremden Haushalts - immer stärker sein wird, als
wenn es sich um eigene Mittel handelt; auch kann eine hinreichende
parlamentarische Kontrolle nur gegenüber derjenigen Verwaltung zur Geltung
kommen, die jedenfalls grundsätzlich sowohl den Aufgabenvollzug als auch die
Bereitstellung der dafür erforderlichen Mittel zu verantworten hat. Ingesamt
bleibt zu bedenken, daß jede stärkere Heranziehung des Bundes zur Finanzierung
der von den Ländern oder Kommunen durchgeführten Aufgaben zu einer Verbesserung
der Finanzausstattung des Bundes führen müßte. Dies wiederum würde das Gewicht
der Länder im Bundesstaat verringern: Wer zahlt, schafft an!
Diese Überlegungen zeigen insgesamt: Anders
als die vorgestellten Reformvorschläge glauben machen wollen, ist das Vorliegen
einer materiellen Verwaltungsverantwortung der Länder nicht die einzige
ratio legis des herkömmlichen Konnexitätsprinzips. Daß die Länder die Lasten
der Gesetzesausführung tragen, hat darüber hinaus eine gewichtige bundesstaatliche
Garantiefunktion zugunsten der Länderstaatlichkeit. Sie liegt in der Eigenart
der Finanzierungszuständigkeit als einer a priori wesentlichen Staatsfunktion
an sich und der dadurch, daß die Länder sie zu einem erheblichen Teil
innehaben, ausgelösten Notwendigkeit, wesentliche Teile des gesamten
Finanzaufkommens gerade ihnen zukommen zu lassen (Art. 104 a Abs. 1, 106 Abs. 3
S. 4 GG).
c) Versagen der Mechanismen der
Finanzverteilung?
Zusammenfassend läßt sich daher feststellen,
daß der vorgeschlagene Schritt zur weiteren Unitarisierung unseres
Bundesstaates eine Fülle von Fragen aufwirft. Unvemeidlich würde dieser Schritt
erst, wenn erwiesen wäre, daß die regulären Mechanismen der Finanzverteilung
und des Finanzausgleichs keine angemessene Finanzausstattung der
Gebietskörperschaften sichern könnten - also eine Finanzausstattung, die auch
die vom Bund zugewiesenen Aufgaben zu bewältigen erlaubt. Richtigerweise ist
daher grundsätzlich am Vorrang der aufgabengerechten Verteilung des Aufkommens
der Gemeinschaftssteuern sowie am Vorrang des Finanzausgleichs vor
Finanzbeiträgen des Bundes festzuhalten. Zugespitzt ließe sich daher sagen, daß
die Überbürdung finanzieller Lasten auf Länder und Kommunen bei Licht besehen
nur in zweiter Linie ein Thema des Art. 104 a GG ist. Vorrangig ist die
Aufbürdung neuer Lasten im Rahmen der Finanzverteilung und des Finanzausgleichs
nach Art. 106 und 107 GG rechtlich zu bewältigen. Im einzelnen: Die Aufgabe,
den Ländern und Kommunen allgemein und speziell für die durch Bundesgesetz
veranlaßten Aufgaben eine aufgabenadäquate Finanzausstattung zu sichern, fällt
zunächst der in Art. 106 GG geregelten vertikalen Steuerertragsaufteilung
zwischen Bund und Ländern zu. Die Festlegung der Umsatzsteueranteile von Bund
und Ländern ist an einer gleichmäßigen Deckung der notwendigen Ausgaben beider
Seiten bei Abstimmmung der jeweiligen Deckungsbedürftnisse aufeinander
orientiert; daher hat - worauf es hier ankommt - bereits die vertikale
Steueraufteilung sichtbar ausgaben- und bedarfsorientierten Charakter. Der
Finanzbedarf der Kommunen ist dabei gemäß Art. 106 Abs. 9 GG als Teil des
Länderbedarfs in die Rechnung einzustellen. Im Rahmen der Verhandlungen über
den vertikalen Finanzausgleich nach Art. 106 Abs. 3 und 4 GG muß dem Bund die
Argumentation, daß Ausgaben für Aufgaben, die er selbst kraft seiner
Gesetzgebungskompetenz den Ländern und Kommunen auferlegt, nicht
"notwendig" seien, von vornherein versagt sein. Für die definitiven
zusätzlichen Kosten, die durch die bundesgesetzliche Erschließung neuer
Aufgabenfelder für Länder und Kommunen entstehen, muß daher ein Ausgleich über
eine Neufestsetzung der Umsatzsteueranteile gemäß Art. 106 Abs. 3 und 4 GG
geschaffen werden. Die Länder wiederum sind gehalten, die aus der Erhöhung
ihres Anteils gewonnenen Mittel den Kommunen auch tatsächlich zufließen zu
lassen, wenn diese Aufgabenträger sind.
Alles das zeigt, meine ich, daß die normalen
Mechanismen der Finanzverteilung und des Finanzausgleichs im Grundsatz eine
aufgabengerechte Finanzausstattung sichern können - auch wenn man die heutige
Finanzierungsstruktur beibehält. Das würde noch mehr gelten bei einer stärkeren
Bedarfsorientierung des horizontalen Finanzausgleichs. Für Änderungen der
Finanzierungsstruktur sehe ich daher vorerst keinen Anlaß. Das sieht im übrigen
auch die Bundesregierung so.
d) Reformbedürftigkeit
der Regelung für Geldleistungsgesetze (Art. 104 a Abs. 3 GG)?
Eine Einschränkung könnte für
Geldleistunggesetze ins Auge gefaßt werden. Insoweit könnte in der Tat eine
Reform des Art. 104 a Abs. 3 GG dahingehend erwogen werden, daß für bestimmte
Geldleistungsgesetze die Finanzierungskompetenz von Verfassungs wegen auf den
Bund übertragen würde, und zwar für solche bundesgesetzlich veranlaßte Gewährungen
von "Geldleistungen, deren Empfänger, Voraussetzungen und Höhe eindeutig
festgelegt sind". Dies wäre dann wohl mit der Anordnung der
Bundesauftragsverwaltung zu verbinden. Die jüngst beschlossenen Empfehlungen
des Deutschen Juristentages gehen zu Unrecht darüber hinaus.
Nicht zu empfehlen wäre allerdings - wiederum
entgegen den Empfehlungen des Deutschen Juristentages - die Einbeziehung auch
von Sachleistungen. Sie würde das heute geltende und aufrechtzuerhaltende
Konnexitätsprinzip nicht nur durchbrechen, sondern im Kern aushöhlen. Sie
übersähe auch, daß sich Sachleistungen in der materiellen Eigenart ihrer
Gewährung deutlich von Geldleistungen unterscheiden.
Es gäbe im übrigen noch einen weiteren Weg,
Länder und Gemeinden davor zu schützen, daß ihnen Belastungen durch
Geldleistungsgesetze des Bundes, deren Vollzug erschöpfend vorprogrammiert ist,
aufgedrängt werden. Solche Gesetze könnten durchgehend an die Zustimmung des
Bundesrates gebunden werden.
IV. Finanzierungsverantwortung
der Länder bei Aufgabenzuweisungen an die
Kommunen
Ich muß zum Schluß kommen. Daher will ich zum
Thema der Finanzierungsverantwortung der Länder für Aufgaben, die der
Landesgesetzgeber den Gemeinden und Kreisen zuweist, nicht mehr viel sagen. So
viel aber vielleicht doch: Die Zukunft scheint mir hier
landesverfassungsrechtlichen Vorschriften zu gehören, die die Zuweisung von
Aufgaben von der gleichzeitigen Regelung der Deckung der Kosten abhängig machen
und präzisierend festlegen: "Führt die Aufgabenwahrnehmung zu einer Mehrbelastung
der Kommunen, ist ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen".
Insoweit stimme ich - ausnahmsweise! - mit dem Deutschen Juristentag überein.
In einer Reihe von Bundesländern kennen wir bereits ausdrücklich in dieser
Weise formulierte Garantien, die Gewährleistungen anderer Länder haben im Kern
die gleiche Bedeutung. Sie tragen einem spezifischen Schutzbedürfnis der
Kommunen Rechnung und verhindern, daß das jeweilige Land die Kommunen mit neuen
Aufgaben belastet, um sich selbst Kosten zu ersparen. Soweit sich die Länder
bei der Erfüllung ihrer Aufgaben der Kommunen bedienen, können diese die
Bereitstellung entsprechender Finanzmittel erwarten. Es hängt natürlich von den
konkret beteiligten politischen Akteuren und letztlich von den Gerichten ab, ob
die Garantien tatsächlich greifen. Gerade neuere Entwicklungen - auch in der
Rechtsprechung - zeigen, daß wir hier optimistisch sein können.
V. Resümee
Ich möchte zusammenfassen: Die Überlegungen,
die ich Ihnen vortragen durfte, haben gezeigt, wie vorsichtig man sein muß,
wenn man lediglich einzelne Bausteine aus dem System der Finanzverfassung
herausbrechen und auswechseln will. Der diskutierte Fragenkomplex erschiene in
einem anderen Licht, wenn man bereit wäre, umfassendere Änderungen der
Finanzverfassung, ja der Regelungen des Bund-Länder-Verhältnisses überhaupt, in
Erwägung zu ziehen. Wir haben gesehen: Die besondere Brisanz der Frage der
Lastenverteilung ergibt sich gerade daraus, daß in unserer bundesstaatlichen
Ordnung Gesetzgebung und Verwaltung weitgehend von verschiedenen
Kompetenzträgern wahrgenommen werden. Der Bund hat in erschöpfender Weise von
seinen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen Gebrauch gemacht, während die Verwaltung
weitgehend den Ländern vorbehalten bleibt. Würde diese Aufspaltung von
Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen ein Stück zurückgeführt, würde die
Brisanz unserer Frage entsprechend entschärft. Soweit also der Bund
entsprechend dem Subsidiaritätprinzip bereit wäre, seinen umfassenden
Regelungsanspruch zurückzunehmen und den Ländern die Möglichkeit gäbe,
Bundesgesetze durch eigene Regelungen zu ersetzen, käme es zu einer
staatswirtschaftlich überaus sinnvollen Vereinigung von Entscheidungs-, Durchführungs-
und Finanzierungskompetenz auf einer Ebene. Über den Vorrang von Gesetzes- oder
Vollzugskausalität bräuchten wir insoweit nicht mehr nachzudenken. Die jüngste
Verfassungsreform ist also ein Schritt in die richtige Richtung.
Auch eine nennenswerte Ausweitung der
Möglichkeiten der Länder zu eigenständiger und eigenverantwortlicher
Ausschöpfung von Steuerquellen - gekoppelt mit einer Verringerung der
bundesgesetzlich normierten Steuerlast - würde unser Problem entschärfen. Eine
solche Erhöhung der Einnahmeautonomie wird nicht zuletzt vom Wissenschaftlichen
Beirat beim Bundesministerium der Finanzen mit Nachdruck gefordert. Sie würde
es den Ländern ermöglichen, finanzielle Mehrbelastungen auf Grund von
Bundesgesetzen zum Teil aus eigener Kraft aufzufangen. Wir haben uns ja
spätestens heute von dem Irrglauben verabschiedet, daß solche Mehrbelastungen
bloße vereinzelte Betriebsunfälle seien. Wir haben gesehen, daß sie
systemprägender Bestandteil unserer föderativen Ordnung sind. Billigte man den
Ländern größere Finanzierungsspielräume zu, hätte das auch den Vorteil, daß
Verteilungsgerechtigkeit in den bundesstaatlichen Finanzbeziehungen nicht mehr
allein von der Umsatzsteuerverteilung im Rahmen des Finanzausgleichs erwartet
zu werden bräuchte.
Ich schlage daher vor,
- die allgemeine Lastenverteilungsregel
des Art. 104 a Abs. 1 GG zunächst beizubehalten,
- über eine Reform der in Art. 104 a Abs.
3 GG für bestimmte Geldleistungen in einer der genannten Richtungen
(beschränkte Gesetzeskausalität oder Zustimmungsvorbehalt für den Bundesrat)
weiter nachzudenken,
- die allgemeinen Gesetzgebungskompetenzen
der Länder zu erweitern und schließlich
- die Möglichkeiten der Länder zu einer
eigenverantwortlichen Ausschöpfung von Steuerquellen zu verbessern.